Der Jahreslauf sagt: die Saison ist eigentlich schon zu Ende.
Der Kalender sagt: hey, in Norddeutschland gibt es einen neuen Feiertag.
Das Wetter sagt: kommt raus aufs Meer!
Los geht’s!

Nachdem wir im Herbst mit dem Boot für einige Wochen in der Werft auf dem Trockenen lagen, freuen wir uns sehr über ein unerwartet langes Wochenende mit strahlendem Wetter. Ende Oktober sind die umliegenden Häfen fast vollständig leergekrahnt und so haben wir die Ostsee fast für uns. Das Wetter ist bombastisch. Wir treffen uns nach der Arbeit direkt am Boot und legen am frühen Nachmittag ab. Unser Ziel ist der kleine Ort Orth auf Fehmarn. Wir kennen den malerischen Hafen von Landausflügen, haben ihn bisher aber mit dem Boot gemieden, da wir im Sommer oft dachten, dass es zu voll und eng sei. Aber nun.

 

Unsere Abfahrtszeit gegen 15 Uhr eigentlich kein Problem bei einer gedachten Fahrtzeit von 2 Stunden, aber am 30. Oktober ist schon um 16.40 Uhr Sonnenuntergang. Und so fuhren wir sehr bald in einen gefühlt nicht endenden Sundowner. Ostsee in Flammen als gefühlte Privatvorstellung. Laute Lieblingsmusik an Deck, Heißgetränke griffbereit und gut eingemummelt fotografierten wir uns der Sonne entgegen.

Die Ansteuerung von Orth zieht sich hin, auch wenn Fehmarn selbst von Anfang an zum Greifen nah vor uns liegt. Die Sonne sinkt und sinkt. Da unsere elektronische Navigationsausstattung noch reichlich Luft nach oben hat, bin ich in diesen Situationen auch schneller mal unruhig. Hin und her gerissen zwischen der malerischen Abendstimmung und der Sorge orientierungslos auf der Ostsee zu sein oder einfach im Stehrevier der Bucht auf Grund zu laufen. Das ist theoretisch übertrieben, fühlt sich für mich aber doch schnell so an. Seekarten und Leuchtturmangaben hin oder her. Das Durchfahren der grün/roten Hafentonnen gibt mir gleich ein heimatliches Gefühl.

 

Wir laufen durch die langgezogenen Hafenmolen ein und gleiten mit Steuerbord an die freien Längslieger. An der Hafenkante stehen vereinzelte Grüppchen und bewundern ebenfalls das Naturschauspiel, das sich am Horizont bietet. Orange-hour, hoch aufs Deck und danach die Beine vertreten durch den kleinen Hafen mit seinen verträumten kleinen Ecken. Ansonsten ist der Hafen mehr als up-to-date. Das Einchecken am Automaten und Guthabenkarte super einfach und komfortabel. Am Ende gibt man seine Karte einfach wieder im Automaten ab und fertig. Obendrauf gibt es aber auch noch einen realen und sehr sympathischen Hafenmeister.

Als es dunkel ist und wir gut gegessen haben, überfällt uns eine bleierne Müdigkeit. Gefühlt mindestens 22 Uhr, aber es ist gerade mal 18 Uhr. Das sommerliche Zeiterleben an Bord ist noch nicht passend zu den kurzen Wintertagen getunt. Ein bisschen bleiben wir noch wach, aber dann – so früh waren wir selten im Bett.

Die Rückfahrt wurde mal wieder grenzwertig. Ja, es war mehr Wind und damit Welle angesagt, aber das begann dann doch früher als gedacht und dafür auch heftiger. Wie immer steigt damit nicht nur der Seegang, sondern auch die Anspannung der Crew. Wir manövrierten uns durch und gegen die Wellen, damit wir nicht zum vollendeten Spielball wurden und ich sehnte mich nach dem direktesten Weg. Inzwischen sind wir etwas erprobt für diesen Fall, wenig Kommunikation, reduziert auf das Nötigste hilft. Über Befindlichkeiten spricht es sich wieder bestens bei ruhiger See oder spätestens mit dem ersten Heißgetränk, wenn wir fest vertäut am Steg liegen.

Nachdem wir den Fehmarnsund passiert hatten und mit scharf Steuerbord hinter der Landabdeckung dem Westwind entkommen waren, wurde es eine gemütliche Heimfahrt bei Sonnenschein. Schön.

 

 

Schön, bis auf die Irritation, dass der Motor zwischendurch so an Kraft verlor, als wenn wir eine temporäre Gegenschwimmanlage am Bug hätten. Und dann auch wieder nicht. Wir realisierten das, versuchten es aber auch auszublenden, in der Hoffnung die letzte vertraute Heimatroute des Jahres ohne weitere Vorfälle abzuschließen.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber das tat sie. Direkt mit dem Verlassen der Hafeneinfahrt und dem Einlaufen in den Großenbroder Binnensee. Den Liegeplatz in Sicht und doch so fern. Wer die Ecke kennt, weiß wie schön sie ist und wie dicht der seichte Badestrand an Backbord passiert wird, dafür warten an Steuerbord die verrosteten Metallstreben der Betonmole aus Kriegszeiten. Dazwischen wir. Von jetzt auf gleich ohne Motorkraft. Schluss, Aus, Ende. Ich blieb oben am Steuer, mal wieder mit dem Gefühl: Was kann ich hier schon ausrichten? Aber zumindest mit dem Rundumblick, ob die Hindernisse oder andere Boote näher kommen. Unser Glück war eine absolute Windstille, wir lagen einfach still wie der See als Ganzes. Der Kapitän verschwand auf der Badeplattform und mühte sich mit dem Außenborder. Ein verlässlicher Kerl, den wir auch immer wieder testweise anschmeißen. Zum einen weiß man ja nie und wir wissen wie sehr er uns schon einmal gerettet hat. Aber diesmal.. die beiden Motoren hatten sich abgesprochen. Totaler Feiertagmodus, nix geht mehr. Bis auf mein Handy, dass auf einmal klingelt und unsere Hafennachbarn die bei Kaffee und Kuchen bei der Hafenmeisterin saßen, mit bestem Seeblick und uns quer in der Einfahrt längst im Blick hatten. Kurzer Schnack: Hilfe kommt. Ein gutes Gefühl. Der Seenotrettungskreuzer ‚Bremen‘ der ebenfalls vis-à-vis zu uns liegt machte sich ebenfalls mit kleiner Ausstattung auf zu uns. Wir nahmen die Leinen vom Hafenmeister und der zog uns bis auf unseren Winterliegeplatz. Wir wurden wie immer bei solch einer Havarie von allen Anwesenden mit Freude und Humor am Steg empfangen und parkten ein. Saisonende 2019.

Nachtrag: Die Dieselpumpe war verstopft … Ab der nächsten Saison fahren wir mit Tagestank.