s: Und dann merkte ich schon meinen fatalen Fehler. Das ruhige Wetter am Morgen hatte mich vergessen lassen, meine Nursea-Bändchen anzulegen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich unter anderem kein Boot haben wollte, weil ich absolut nicht seefest bin? Keine Helgolandfahrt als Kind ohne Fischefüttern über die Reling … Und jetzt hatte es mich voll erwischt. Wer es kennt weiß, da hilft nur eins: wieder Land unter die Füße. Das war zwar in Sicht, aber bei dem Seegang in weiter Ferne. Ich spulte mein in solchen Situationen erprobtes Programm durch: Beim Reisebegleiter als seekrank abmelden, Bändchen anziehen und einen Liegeplatz auf der Längsachse des Schiffes erdnah oder besser direkt auf dem Deck einnehmen. Hier gefühlt mit Saugnäpfen angedockt liegen bleiben und warten bis das Elend nachlässt. Ach ja, und unbedingt Sonnenschutz in irgendeiner Form anlegen. Ich bin dann mal weg und will von dem Horror eh nichts mehr mitbekommen. Schnell sterben oder irgendwann hören wir sind im Hafen, andere Optionen interessieren nicht mehr. Das einzig Positive an dem Zustand ist vielleicht, dass man selbst für Angst kein Empfinden mehr hat.
Der Seegang dauerte an und wurde nicht weniger. Der Kapitän kämpfte uns durch die Neustädter Bucht, die eigentlich nicht so groß aussieht, aber trotzdem kein Ende nahm. Das wir nach wie vor auf der Erst-Überführung waren, und unser Schiff innen noch nicht fertig überholt war, zeigte sich bald. Die Kühlschränke knallten aus ihren Einbauschränken, der große Tisch kippte mit Getöse um und sonstiges Kleinzeug flog und knallte von links nach rechts und sonst wohin. Es war ein kleiner Albtraum. Zumindest für uns. Die zahlreichen Segler um uns herum glitten sportlichst durch die Wellen und freuten sich wohl überwiegend über das ideale Segelwetter.
Sehr langsam näherten wir uns unserem Ziel Grömitz, der Neustädter Hafen wäre bei der Wetterlage nicht wirklich näher gewesen. Um einigermaßen in den Hafen einfahren zu können, mussten wir noch etwas an Höhe gewinnen um dann mit der Welle Richtung Küste und Hafeneinfahrt zu gelangen. Das bedeutete leider, dass wir mitten durch ein Regattafeld aus Surfern und Optimisten mussten. Wie gesagt, es war Pfingsten und viel los. Inzwischen war es später Nachmittag und so strömten dazu noch viele andere Rückkehrer auf den Grömitzer Hafen zu, Rush-Hour quasi. Mir ging es etwas besser, was bedeutet nicht mehr hundeelend.
Mitten im Regattafeld erreichte mich dann die Hiobsbotschaft meines Kapitäns: Die Steuerung reagiert nicht mehr. Man ist versucht das zunächst als Scherzeinlage abtun zu wollen, aber die Gesamtsituation seit Stunden an Bord verbietet diese Art von Scherzen. Unsere Steuerung ist ausgefallen. Nun wird unser Boot vollends zum Spielball der Wellen und wird von einem Wellenkamm ins nächste Wellental geschubst oder doch besser: geworfen. Meine Contenance möchte sich in Luft auflösen, aber auch das ist gerade unpassend. Ich werde ans Steuer zitiert und der Steuermann verschwindet kopfüber achtern unterm Fußboden. Meine Position kommt mir eher sinnlos vor, aber so habe ich zumindest was zum Festhalten. Ansonsten fühlt es sich an wie an einem Spielautomat in den man noch kein Geld eingeworfen hat. Ich fühlte mich allein. Sehr allein. Um mich herum die ahnungslosen Regattateilnehmer und Hafenrückkehrer, mein Kapitän nicht zu sehen und hören konnte man bei all dem Getöse sowieso nichts Konkretes. Meine Gedanken haben sich irgendwo festgefahren zwischen: Ich will das nicht/ Das mache ich nie wieder/ Ich habe es doch gesagt: ich will das nicht. Zumindest war mir nicht mehr übel. Aber freuen konnte ich mich darüber gerade auch nicht.
Irgendwann tauchte meine abgetauchte Crew wieder auf: “Und?“ Ich wusste nichts, spürte nichts, außer, dass das Schiff erstaunlicherweise immer noch nicht untergegangen war und alle anderen Verkehrsteilnehmer nicht mit uns kollidiert waren. Der Kapitän übernahm wieder das Steuerrad und brachte uns sicher in den Hafen. Ich war zum dritten Mal auf der Tour am Ende meiner Adrenalinreserven angekommen und assistierte stoisch auf Anweisung. Zum Glück tat sich vor uns ein Längsliegerplatz direkt am Kopf auf. Anfahren, anlegen, festmachen, Motor aus. Atmen. Steg unter den Füßen. Geschafft.