März 2020 – alles ist anders.

Das Corona-Virus rückt näher und zeigt der Welt wie globalisiert und vernetzt wir ganz real sind. Was eben noch weit weg und für die Heimat kaum vorstellbar war, ist Realität geworden. Das Leben auf der Welt ist weitestgehend zum Stillstand gekommen, bis auf die systemrelevanten Bereiche.

Stornierte Aufträge verschafften uns schon früh unerwartete Zeit und Anfang März dachten wir noch, wir könnten unser Boot, das fast vor der Haustür liegt, besuchen und daran basteln. Tja, was wir alle vor kurzem noch so dachten. Wir sind nicht für individuelle Befindlichkeiten, sondern brauchen kollektives Verhalten zum Besten Aller. So sind wir wie alle zu Hause. Nun haben wir endlich mal unsere Website fertiggestellt, auf das sie bald weiter wachsen kann mit neuen Erlebnissen und Bildern im [B]Logbuch.

Winter 2020

Der Winter war noch milder als in den Vorjahren und so haben wir unser Boot auf seinem Winterliegeplatz gern besucht und einfach den Blick in die Natur genossen. Vorher einen schönen Strandspaziergang oder Olaf auch gern mal mit dem Kite eine Runde aufs Wasser und ich mit dem Fotoapparat durch den Sand gegen den Wind gestapft. So oder so setzen wir uns anschließend gern ins Boot und genießen den rundum Panoramablick auf den Binnensee. Selbst solch ein Nachmittag mit nur ein paar Stunden seichtem Geschaukel und Löcher in die Gegend gucken macht gleich etwas mit uns. Eine Ruhe breitet sich aus und obwohl man fest verzurrt am Steg liegt, entsteht schnell ein positiver Abstand zu den alltäglichen Dingen.

Wir sinnieren über mögliche Touren in diesem Jahr und vermessen ganz konkret Innenausbauten, die in 2019 nicht vollendet wurden. Das Badezimmer ist noch im Rohbau stecken geblieben, die Vorratskammer für die Küche soll fertig werden und im Motorraum und Technikkeller gibt es sowieso immer noch genug Bastelstoff bei unserem alten Boot. Einfach mal wieder anfangen war unser Plan und so verließen wir Ende Februar mit einer prall gefüllten Liste für den Baumarkt das Boot, um beim nächsten Besuch loszulegen.

Letzte Ausfahrt: Orth

Der Jahreslauf sagt: die Saison ist eigentlich schon zu Ende.
Der Kalender sagt: hey, in Norddeutschland gibt es einen neuen Feiertag.
Das Wetter sagt: kommt raus aufs Meer!
Los geht’s!

Nachdem wir im Herbst mit dem Boot für einige Wochen in der Werft auf dem Trockenen lagen, freuen wir uns sehr über ein unerwartet langes Wochenende mit strahlendem Wetter. Ende Oktober sind die umliegenden Häfen fast vollständig leergekrahnt und so haben wir die Ostsee fast für uns. Das Wetter ist bombastisch. Wir treffen uns nach der Arbeit direkt am Boot und legen am frühen Nachmittag ab. Unser Ziel ist der kleine Ort Orth auf Fehmarn. Wir kennen den malerischen Hafen von Landausflügen, haben ihn bisher aber mit dem Boot gemieden, da wir im Sommer oft dachten, dass es zu voll und eng sei. Aber nun.

 

Unsere Abfahrtszeit gegen 15 Uhr eigentlich kein Problem bei einer gedachten Fahrtzeit von 2 Stunden, aber am 30. Oktober ist schon um 16.40 Uhr Sonnenuntergang. Und so fuhren wir sehr bald in einen gefühlt nicht endenden Sundowner. Ostsee in Flammen als gefühlte Privatvorstellung. Laute Lieblingsmusik an Deck, Heißgetränke griffbereit und gut eingemummelt fotografierten wir uns der Sonne entgegen.

Die Ansteuerung von Orth zieht sich hin, auch wenn Fehmarn selbst von Anfang an zum Greifen nah vor uns liegt. Die Sonne sinkt und sinkt. Da unsere elektronische Navigationsausstattung noch reichlich Luft nach oben hat, bin ich in diesen Situationen auch schneller mal unruhig. Hin und her gerissen zwischen der malerischen Abendstimmung und der Sorge orientierungslos auf der Ostsee zu sein oder einfach im Stehrevier der Bucht auf Grund zu laufen. Das ist theoretisch übertrieben, fühlt sich für mich aber doch schnell so an. Seekarten und Leuchtturmangaben hin oder her. Das Durchfahren der grün/roten Hafentonnen gibt mir gleich ein heimatliches Gefühl.

 

Wir laufen durch die langgezogenen Hafenmolen ein und gleiten mit Steuerbord an die freien Längslieger. An der Hafenkante stehen vereinzelte Grüppchen und bewundern ebenfalls das Naturschauspiel, das sich am Horizont bietet. Orange-hour, hoch aufs Deck und danach die Beine vertreten durch den kleinen Hafen mit seinen verträumten kleinen Ecken. Ansonsten ist der Hafen mehr als up-to-date. Das Einchecken am Automaten und Guthabenkarte super einfach und komfortabel. Am Ende gibt man seine Karte einfach wieder im Automaten ab und fertig. Obendrauf gibt es aber auch noch einen realen und sehr sympathischen Hafenmeister.

Als es dunkel ist und wir gut gegessen haben, überfällt uns eine bleierne Müdigkeit. Gefühlt mindestens 22 Uhr, aber es ist gerade mal 18 Uhr. Das sommerliche Zeiterleben an Bord ist noch nicht passend zu den kurzen Wintertagen getunt. Ein bisschen bleiben wir noch wach, aber dann – so früh waren wir selten im Bett.

Die Rückfahrt wurde mal wieder grenzwertig. Ja, es war mehr Wind und damit Welle angesagt, aber das begann dann doch früher als gedacht und dafür auch heftiger. Wie immer steigt damit nicht nur der Seegang, sondern auch die Anspannung der Crew. Wir manövrierten uns durch und gegen die Wellen, damit wir nicht zum vollendeten Spielball wurden und ich sehnte mich nach dem direktesten Weg. Inzwischen sind wir etwas erprobt für diesen Fall, wenig Kommunikation, reduziert auf das Nötigste hilft. Über Befindlichkeiten spricht es sich wieder bestens bei ruhiger See oder spätestens mit dem ersten Heißgetränk, wenn wir fest vertäut am Steg liegen.

Nachdem wir den Fehmarnsund passiert hatten und mit scharf Steuerbord hinter der Landabdeckung dem Westwind entkommen waren, wurde es eine gemütliche Heimfahrt bei Sonnenschein. Schön.

 

 

Schön, bis auf die Irritation, dass der Motor zwischendurch so an Kraft verlor, als wenn wir eine temporäre Gegenschwimmanlage am Bug hätten. Und dann auch wieder nicht. Wir realisierten das, versuchten es aber auch auszublenden, in der Hoffnung die letzte vertraute Heimatroute des Jahres ohne weitere Vorfälle abzuschließen.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber das tat sie. Direkt mit dem Verlassen der Hafeneinfahrt und dem Einlaufen in den Großenbroder Binnensee. Den Liegeplatz in Sicht und doch so fern. Wer die Ecke kennt, weiß wie schön sie ist und wie dicht der seichte Badestrand an Backbord passiert wird, dafür warten an Steuerbord die verrosteten Metallstreben der Betonmole aus Kriegszeiten. Dazwischen wir. Von jetzt auf gleich ohne Motorkraft. Schluss, Aus, Ende. Ich blieb oben am Steuer, mal wieder mit dem Gefühl: Was kann ich hier schon ausrichten? Aber zumindest mit dem Rundumblick, ob die Hindernisse oder andere Boote näher kommen. Unser Glück war eine absolute Windstille, wir lagen einfach still wie der See als Ganzes. Der Kapitän verschwand auf der Badeplattform und mühte sich mit dem Außenborder. Ein verlässlicher Kerl, den wir auch immer wieder testweise anschmeißen. Zum einen weiß man ja nie und wir wissen wie sehr er uns schon einmal gerettet hat. Aber diesmal.. die beiden Motoren hatten sich abgesprochen. Totaler Feiertagmodus, nix geht mehr. Bis auf mein Handy, dass auf einmal klingelt und unsere Hafennachbarn die bei Kaffee und Kuchen bei der Hafenmeisterin saßen, mit bestem Seeblick und uns quer in der Einfahrt längst im Blick hatten. Kurzer Schnack: Hilfe kommt. Ein gutes Gefühl. Der Seenotrettungskreuzer ‚Bremen‘ der ebenfalls vis-à-vis zu uns liegt machte sich ebenfalls mit kleiner Ausstattung auf zu uns. Wir nahmen die Leinen vom Hafenmeister und der zog uns bis auf unseren Winterliegeplatz. Wir wurden wie immer bei solch einer Havarie von allen Anwesenden mit Freude und Humor am Steg empfangen und parkten ein. Saisonende 2019.

Nachtrag: Die Dieselpumpe war verstopft … Ab der nächsten Saison fahren wir mit Tagestank.

Sommer 2019

Der Sommer 2019 hatte viel mehr Einladungen und Festen an Land als gedacht und so kamen unsere Bootszeiten viel zu kurz. Ausfahrten in die Umgebung. Kaffeefahrten mit Freunden, oder besser Fischbrötchenfahrten nach Fehmarn mit Besuch aus dem Inland. Tagesausflüge vor die Küste, Anker geworfen und das seichte Schaukeln bis zum Sonnenuntergang genossen. Sehr viel weiter sind wir diese Saison nicht gekommen, und trotzdem war es wieder einfach schön. Jeder Tag an Bord gleitet sofort in ein Urlaubsgefühl.
Wenn wir Zeit hatten, passte das Wetter öfter nicht und so verbrachten wir auch manche Nacht an Bord an unserem angestammten Liegeplatz. Äußerster Platz im Hafen mit Blick über den See auf das gegenüberliegende Ufer. Immer ein paar Möwen, Blesshühner und Kormorane um uns herum. Sonnenuntergang inklusive. Entschleunigung leicht gemacht.

Im Hafen von Burg das Bilderbuchtreiben beobachten kann einen auch beschäftigen. Da werden vor lauter Entspannung sogar die Fotos unscharf.

Gefühlt ein herrliches Ende der Welt. Jeden Abend wieder.

Wir hatten die Pocken an Bord

Überraschend erfolglose Werftsuche
Im Sommer nutzten wir die Gelegenheit bei den unterschiedlichsten Werften mit unserem Boot vorzufahren und anzufragen, ob es im Herbst dort möglich wäre die Seepocken entfernen zu lassen und das Boot dann mit neuem Lack und diesmal mit (!) Antifouling zu streichen.
Wir waren schon sehr erstaunt wie es sich mit der Resonanz verhielt. Unsere einfache Idee einen Kostenvoranschlag zu erhalten erwies sich als ein mehr als schwieriges Unterfangen. Wöchentliche Telefonate und/oder versuchte Telefonate brachten wenig Ergebnis. Der erste KVA kam nach ca. 6 Wochen von einer Werft. Ich glaube wir haben vier Werften ganz konkret angefragt. Dafür war die Summe dann auch fünfstellig und nach oben offen ins Ungewisse.
Zudem waren die Werften nicht gerade klar in den Aussagen wie die Pockentfernung und Aufarbeitung vorzunehmen sei. Wir waren da sehr erstaunt, da es ja kein seltenes Thema ist. Es sei denn man hat kein Antifouling?
(… wir waren etwas gewarnt, denn Hafennachbarn erlebten in einer dieser Werften im Sommer ein finanzielles Fiasko, sie wollten nur ein mitgebrachtes Teil tauschen.
Gedacht: Krahnen – eine Stunde Teil auswechseln – krahnen… fertig.
Realität: Von der Werft nicht wieder ins Wasser gelassen, wochenlange Werftarbeit und eine ernsthafte fünfstellige Rechnung…)

Wie dem auch sei. Bei allen Überlegungen und Forschungen zum Thema Seepocken-Entfernung wuchs der Entschluss: das machen wir selber. Und so nahmen wir Kontakt auf zur Lübecker Werft bei der wir schon mit unserem Motorschaden gute Erfahrungen gemacht haben.

Ideen und Planung der Pockenentfernung in Eigenregie
Seepocken zu bekommen ist ein Leichtes, sie loszuwerden scheinbar eine Wissenschaft für sich.
Die Gespräche und Recherchen zu dem Thema waren umfangreich, aber die plug-and-play-Version war nicht so einfach zu finden.
So schwankten wir zwischen Sandstrahlen und Eisstrahlen… was brauchen wir dafür?… Was kostet der Quarzsand? Wohin mit dem verdreckten Quarzsand oder Wasser? Wahnsinnsentsorgungspreise im Gemisch mit Laboranalysen, um das Entsorgungsgut überhaupt finanziell bewerten zu können. Wer viel fragt, bekommt viele Antworten und wie man es so kennt in Deutschland, die Vorschriften werden nicht weniger, je mehr man forscht. Auch die Kosten waren nach wie vor im Bereich von mehreren Tausend Euro für das Ausleihen von Sand- oder Eisstrahlgeräten, den Transport, die Werkstoffe, Planen und und und …

Der Werftbesuch
Ende September war es so weit. Wir hatten einen Slot auf dem Werftgelände kurz bevor die Boote alle raus mussten und einen Trailer den wir leihen konnten bevor er als Winterplatz gebucht war. Zwei Wochen waren der Plan, neben den Seepocken wollten wir ja eigentlich noch ein paar andere Dinge erledigen, die auf der ‚kann-Liste‘ stehen.

Bei sommerlichen Temperaturen erreichten wir Lübeck und krahnten das Boot am späten Nachmittag. Unsere Erwartung auf den Anblick der Seepockenkolonie wurde noch mal übertroffen. Es war ein einziger runder Panzer der aus dem Wasser auftauchte. Beeindruckend.

Die wortkargen Männer am Krahn gaben den unauffälligen Tipp es doch einfach mal mit den Spachteln zu versuchen. Nach Wochen des Planens kompliziertester Entfernungsszenarien passierte das völlig unerwartete. Die noch nasse, mehrere Zentimeter dicke Schicht aus übereinander hockenden Seepocken ließ sich abstreifen wie ich weiß nicht was. Der einzige Vergleich ist die Vorwerk-Teppichkehrmaschinen-Werbung aus den 70ern, in der das Gerät über den unglaublich dreckigen Teppich fuhr und eine eindeutig saubere Bahn auf dem Untergrund hinterließ – perfekt!

Wir hatten den Trailer auf einer strahlend weißen 200 qm-Plane abgestellt und legten zu dritt los. Nach einer Stunde war es soweit: Wir standen verdreckt und glücklich in einem stinkenden Haufen zerstörter Seepocken und sahen zutiefst zufrieden auf den kahlen abgekratzten Bootsrumpf.
(Die Überlegungen zu unserem Karma-Konto nach dem Massaker vertagten wir.)

Wir konnten unser Glück gar nicht fassen, es war einfach erledigt. Nach allen Recherchen und Gesprächen, die Variante hatte keiner zu berichten. Wie dem auch sei, wir stornierten alle Gerätschaften und freuten uns über das so leicht gesparte Geld.
So könnte es weiter gehen mit der Werftarbeit!